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Sonntag, 4. Oktober 2015

Der Magier (30.09.15) - Kurzgeschichte



Die noch leere Bahn
Der Magier und ich stiegen an der gleichen Station ein. 
Da die letzte Bahn vor meiner Nase weggefahren war, gehörte ich zu den ersten, die Nächste stiegen. Nach und nach kamen mehr Menschen und füllten die leeren Sitzplätze. Dann ertönte die Durchsage, dass der Zug abfahren würde, die roten Lämpchen an den Türen begannen zu leuchten.
Er rannte nicht.
Gemächlichen Schrittes kam der Mann auf den Zug zu, stieg ein. Hinter ihm schloss sich die Tür. Etwas zerstreut wanderte sein Blick durch den Zug, wahrscheinlich auf der Suche nach einem Sitzplatz. Doch es waren kaum noch welche frei. Als der Zug anfuhr schwankte er leicht, hielt sich aber nicht fest. Stattdessen lehnte er sich gegen die Tür.
In seinen Händen hielt er einen seltsamen Gegenstand, welcher große Ähnlichkeit mit einem Schuhlöffel gehabt hätte, wäre da nicht die komische Biegung im Schaft gewesen welche das Ganze eher nach einem Hybrid aus Schuhlöffel und Bergziegenhorn aussehen ließ. Der seltsame Gegenstand hatte die Farbe von Kastanien und schimmerte wie Perlmutt. Der Mann selber war normal. Er hatte aschblonde Haare und sein Gesicht erinnere mit der geraden Nase, den zerstreuten aber intelligenten Augen welche hinter einer kleinen runden Brille lagen, an einen kleinen Waldkauz. Er war groß, seine Kleidung komplett schwarz bis auf seine knallrote Hose. Sein Alter war schwer einzuschätzen. Irgendwo zwischen Ende-Zwanzig Mitte-Dreißig.
Der seltsame Gegenstand - Aus der Erinnerung gezeichnet 
Als er bemerkte, dass ich ihn anstarrte zwinkerte er mir lächelnd zu. Schnell schaute ich aus dem Fenster neben ihm. Die Bahn passierte gerade die Spree. Man konnte den Fernsehturm sehen.
An der nächsten Station musste ich aussteigen. Die Bahn hielt an, ich sprang auf und ging zügigen Schrittes über den Bahnsteig, die Treppe hinab und auf den Bahnhofsvorplatz. Eine Ampel bremste meine Eile. Einige Menschen überquerten die Straße noch, neben mir blieb ein großer Mann stehen. Aus den Augenwinkeln sah ich den seltsamen Gegenstand und die rote Hose.
Das grüne Ampelmännchen erschien und alle setzten sich in Bewegung. Obwohl ich wieder zügig ging, überholte er mich mit seinen langen Beinen mühelos. Er ging jetzt zügig aber nicht gehetzt und während er ging sah er sich um, betrachtete alles mit einem zügigen Blick. Der komische Gegenstand lag locker in seiner Hand.
Wir passierten eine Kneipe in der gerade alles für einen Filmdreh vorbereitet wurde. Nun betrachtete er die Szenerie mit der Neugierde eines Kindes, ein verzücktes Lächeln auf den Lippen. Als hätte er so etwas noch nie gesehen.
So abgelenkt wie er war rempelte er versehentlich einen Mann an, nuschelte hastig eine unverständliche Entschuldigung und eilte dann weiter. Er folgte der Straße eine Weile, bog dann aber in eine Seitenstraße ein. Als ich wenige Sekunden später an eben jener Seitenstraße vorbeiging war er verschwunden.
„Wie ein Magier.“, dachte ich.

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