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Dienstag, 12. Januar 2016

Berlin Hauptbahnhof - Kurzgeschichte


„Die nächste Bahn kommt erst in 15 Minuten“
Was hast du um 4 Uhr morgens denn anderes erwartet?“
Der Junge antwortete ihr nicht, ließ sich auf eine der Metallbänke auf dem Bahnsteig fallen.
Sie setzte sich neben ihn.
Weiter hinten am Gleis stand eine Gruppe Jugendlicher, sie tranken. Die Musik, die sie spielten, bestand aus mehr Bässen als Melodie.
Es war kalt. Sie konnte ihren Atem in der Luft sehen.
„An Bahnhöfen fühle ich mich immer frei.“ Er durchbrach das Schweigen „Hier sind mir keine Grenzen gesetzt. Ich könnte in jeden Zug einsteigen. An jeder Station aus, jede einzelne könnte mein Leben in eine andere Richtig verändern.“
Ich weiß nicht ob ich das als Freiheit bezeichnen würde“ erwiderte das Mädchen
„Du bist die ganze Zeit in einem großen Kasten aus Metall, der nur in eine Richtig fährt. Und die kannst du nicht mal ändern.“
„Wirklich philosophisch bist du nicht oder?“
Ich bin betrunken.“
„ Das Eine schließt das Andere nicht aus.“
Auf dem gegenüberliegenden Gleis fuhr eine Bahn ein. Die Gruppe stieg ein. Ein Ehepaar mittleren Alters stieg aus.
So möchte ich nicht enden…“
„ Um 4:00 morgens, am Hauptbahnhof mit 10 Minuten Wartezeit auf die nächste Bahn?“
Sie lächelte leicht.
Nein, so wie die da“, ein Nicken in Richtung des Ehepaars.
„Sie wirken glücklich. Warum willst du nicht glücklich sein?“
Ich glaube nicht, dass sie glücklich sind. Schau dir ihr Gesicht an.“
„Vielleicht ist sie einfach nur müde…“
Oder nicht zufrieden mit ihrem Leben.“ Sie schaute ihn an „Ich möchte ein Leben leben in dem alles was ich mache einen Sinn hat. Indem ich am Ende nichts bereue. Ich will am Ende sagen können, dass mein Leben toll war!“
„ Das will doch jeder“
Ja, aber… Ich …“ Sie brach ab. Schaute auf die Lichter der Stadt die sich im gläsernen Dach des Bahnhofes spiegeln.
„Ist alles ok?“
Wenn ich jetzt sterbe bin ich nicht zufrieden.“ flüstere sie.
Er schwieg. Noch 5 Minuten bis die Bahn kam.
„ Dann änder doch etwas daran, damit du zufrieden bist.“
Dafür müsste ich in der Zeit zurückreisen und alles ändern“
„Dann wärst du aber nicht mehr du.“
Ich will nicht ich sein“
„Warum nicht? Du bist doch ein toller Mensch“
„Bin ich nicht!“
Der Nachdruck in ihrer Stimme ließ den Jungen zusammenzucken. Damit hatte er nicht gerechnet.
„Ok, sorry. Du bist der schlechteste Mensch den ich kenne“ gab er trocken zurück.
Was wäre, wenn’s stimmen würde?“
„Tut es nicht, aber ok.“
Woher willst du das Wissen, du kennst mich erst seit ein paar Monaten!“
Er zuckte mit den Schultern.
„Weißt du es gibt da diese Eigenschaft namens ‚Menschenkenntnis‘. Und meine Kenntnis sagt mir, das jemand der sich ehrenamtlich in Altenheimen engagiert kein schlechter Mensch sein kann.“
Doch, natürlich!“ Sie sprang auf. Der Alkohol in ihrem Blutkreislauf machte es nicht unbedingt einfacher oder eleganter. Schwankend kam sie vor ihm zum Stehen.
Ich mache das doch nicht wegen den Alten! Ich mache das, damit’s in meinem Lebenslauf gut aussieht und ich mich selbst besser fühle!“
„Ja und? Ein egoistisches Motiv ist besser als gar keins! In meinem Lebenslauf würde es auch gut aussehen und ich mache nichts!“
Du bist…“
Sie wurde von der einfahrenden Bahn unterbrochen. Der Junge stand auf. Sie bewunderte, dass er noch so elegant sein konnte. Er hatte schließlich noch mehr getrunken als sie.
„Unsere Bahn ist da.“
Sie stiegen ein. Außer ihnen saßen noch 5 andere im Wagon. Ein Pärchen, ein schlafender Obdachloser, drei junge Männer die sich über Fußball stritten. Sie setzten sich. Sie starrte aus dem Fenster. Berlin war niemals dunkel. Er schaute sie an.
Ich bin nicht perfekt“
„Das hat auch nie jemand behauptet“
Du hast doch keine Ahnung“ sagte sie frustriert.
„Dann erklär es mir.“
>>Nächste Stadtion: Friedrichstraße<< dröhnte es blechern durch die Bahn. Sie sah ihm jetzt ins Gesicht.
Glaubst du wirklich mir hätte noch nie jemand vorgeworfen perfekt zu sein? Weißt du wie oft ich es schon gehört hab? Typen meinen immer das sei irgendeine beschissene Legitimation wegen der ich sie mögen müsste…“
„Mag sein, dass andere Typen das Sagen, ich hab dir das aber nicht gesagt. Und im übrigen: Du bist nicht perfekt. Eher im Gegenteil. Mag sein, dass du dich gerade nur so verhältst weil du blau bist… Aber man sagt ja, Alkohol zeige das wahre Gesicht eines Menschen. So langsam glaube ich weiß ich auch was dein Problem ist.“
Und das wäre?“ kam schnippisch zurück.
„Du magst dich selbst nicht.“
Das habe ich dir gerade eben gesagt. Gute Arbeit Sherlock.“
Der Junge hob eine Augenbraue und sah dann aus dem Fenster. Die Bahn hielt. Die Fußballfans stiegen aus. Die Bahn setze sich wieder in Bewegung. Schweigend durchfuhren sie die Museumsinsel.
Das ist immer mein Lieblingsstück hier. Ich liebe die Museumsinsel. Hier kann ich nie schlechte Laune haben…“
Er stand auf.
Musst du nicht bis zum Ostkreuz?“
„Steh auf.“
Warum?“
Er antwortete nicht, hielt ihr nur seine Hand hin. Das Mädchen nahm sie. Er half ihr hoch. Sie stiegen aus, schlenderten auf die Spree zu. Der Mond spiegelte sich im Wasser. Der Dom wurde angeleuchtet. Schweigend gingen sie auf die Brücke zu. In der Mitte blieb das Mädchen stehen. Sie lächelte. Er stellte sich neben sie.
„Besser?“
Ja… Danke. Oh man… Du hast so was von einen Gut bei mir.“
„Jeder übertreibt es mal“
Trotzdem Danke“
„Kein Problem“
Gemeinsam sahen sie auf das Wasser. Die Kälte kroch in ihre Knochen. Er schaute sie an. So hatte er sie noch nie gesehen. So verwundbar und glücklich.
Vielleicht sollten wir langsam gehen… Ich muss morgen noch Uni Sachen machen.“
Sie standen am Bahnsteig. Er lachte.
Was ist los?“

„Die nächste Bahn kommt erst in 15 Minuten“

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