„Was hast du um
4 Uhr morgens denn anderes erwartet?“
Der Junge antwortete
ihr nicht, ließ sich auf eine der Metallbänke auf dem Bahnsteig
fallen.
Sie setzte sich
neben ihn.
Weiter hinten am
Gleis stand eine Gruppe Jugendlicher, sie tranken. Die Musik, die sie
spielten, bestand aus mehr Bässen als Melodie.
Es war kalt. Sie
konnte ihren Atem in der Luft sehen.
„An Bahnhöfen
fühle ich mich immer frei.“ Er durchbrach das Schweigen „Hier
sind mir keine Grenzen gesetzt. Ich könnte in jeden Zug einsteigen.
An jeder Station aus, jede einzelne könnte mein Leben in eine andere
Richtig verändern.“
„Ich weiß
nicht ob ich das als Freiheit bezeichnen würde“ erwiderte das
Mädchen.
„Du bist die ganze Zeit in einem großen Kasten aus Metall, der nur in eine Richtig fährt. Und die kannst du nicht mal ändern.“
„Du bist die ganze Zeit in einem großen Kasten aus Metall, der nur in eine Richtig fährt. Und die kannst du nicht mal ändern.“
„Wirklich
philosophisch bist du nicht oder?“
„Ich bin
betrunken.“
„ Das Eine
schließt das Andere nicht aus.“
Auf dem
gegenüberliegenden Gleis fuhr eine Bahn ein. Die Gruppe stieg ein.
Ein Ehepaar mittleren Alters stieg aus.
„ So möchte
ich nicht enden…“
„ Um 4:00 morgens,
am Hauptbahnhof mit 10 Minuten Wartezeit auf die nächste Bahn?“
Sie lächelte
leicht.
„Nein, so wie
die da“, ein Nicken in Richtung des Ehepaars.
„Sie wirken
glücklich. Warum willst du nicht glücklich sein?“
„ Ich glaube
nicht, dass sie glücklich sind. Schau dir ihr Gesicht an.“
„Vielleicht ist
sie einfach nur müde…“
„Oder nicht
zufrieden mit ihrem Leben.“ Sie schaute ihn an „Ich möchte ein
Leben leben in dem alles was ich mache einen Sinn hat. Indem ich am
Ende nichts bereue. Ich will am Ende sagen können, dass mein Leben
toll war!“
„ Das will doch
jeder“
„Ja, aber…
Ich …“ Sie brach ab. Schaute auf die Lichter der Stadt die
sich im gläsernen Dach des Bahnhofes spiegeln.
„Ist alles ok?“
„Wenn ich jetzt
sterbe bin ich nicht zufrieden.“ flüstere sie.
Er schwieg. Noch 5
Minuten bis die Bahn kam.
„ Dann änder doch
etwas daran, damit du zufrieden bist.“
„Dafür müsste
ich in der Zeit zurückreisen und alles ändern“
„Dann wärst du
aber nicht mehr du.“
„Ich will nicht
ich sein“
„Warum nicht? Du
bist doch ein toller Mensch“
„Bin ich nicht!“
Der Nachdruck in
ihrer Stimme ließ den Jungen zusammenzucken. Damit hatte er nicht
gerechnet.
„Ok, sorry. Du
bist der schlechteste Mensch den ich kenne“ gab er trocken zurück.
„Was wäre,
wenn’s stimmen würde?“
„Tut es nicht,
aber ok.“
„Woher willst
du das Wissen, du kennst mich erst seit ein paar Monaten!“
Er zuckte mit den
Schultern.
„Weißt du es gibt
da diese Eigenschaft namens ‚Menschenkenntnis‘. Und meine
Kenntnis sagt mir, das jemand der sich ehrenamtlich in Altenheimen
engagiert kein schlechter Mensch sein kann.“
„Doch,
natürlich!“ Sie sprang auf. Der Alkohol in ihrem Blutkreislauf
machte es nicht unbedingt einfacher oder eleganter. Schwankend kam
sie vor ihm zum Stehen.
„Ich mache das
doch nicht wegen den Alten! Ich mache das, damit’s in meinem
Lebenslauf gut aussieht und ich mich selbst besser fühle!“
„Ja und? Ein
egoistisches Motiv ist besser als gar keins! In meinem Lebenslauf
würde es auch gut aussehen und ich mache nichts!“
„Du bist…“
Sie wurde von der
einfahrenden Bahn unterbrochen. Der Junge stand auf. Sie bewunderte,
dass er noch so elegant sein konnte. Er hatte schließlich noch mehr
getrunken als sie.
„Unsere Bahn ist
da.“
Sie stiegen ein.
Außer ihnen saßen noch 5 andere im Wagon. Ein Pärchen, ein
schlafender Obdachloser, drei junge Männer die sich über Fußball
stritten. Sie setzten sich. Sie starrte aus dem Fenster. Berlin war
niemals dunkel. Er schaute sie an.
„Ich bin nicht
perfekt“
„Das hat auch nie
jemand behauptet“
„Du hast doch
keine Ahnung“ sagte sie frustriert.
„Dann erklär es
mir.“
>>Nächste
Stadtion: Friedrichstraße<< dröhnte es blechern durch die
Bahn. Sie sah ihm jetzt ins Gesicht.
„Glaubst du
wirklich mir hätte noch nie jemand vorgeworfen perfekt zu sein?
Weißt du wie oft ich es schon gehört hab? Typen meinen immer das
sei irgendeine beschissene Legitimation wegen der ich sie mögen
müsste…“
„Mag sein, dass
andere Typen das Sagen, ich hab dir das aber nicht gesagt. Und im
übrigen: Du bist nicht perfekt. Eher im Gegenteil. Mag sein, dass du
dich gerade nur so verhältst weil du blau bist… Aber man sagt ja,
Alkohol zeige das wahre Gesicht eines Menschen. So langsam glaube ich
weiß ich auch was dein Problem ist.“
„Und das wäre?“
kam schnippisch zurück.
„Du magst dich
selbst nicht.“
„Das habe ich
dir gerade eben gesagt. Gute Arbeit Sherlock.“
Der Junge hob eine
Augenbraue und sah dann aus dem Fenster. Die Bahn hielt. Die
Fußballfans stiegen aus. Die Bahn setze sich wieder in Bewegung.
Schweigend durchfuhren sie die Museumsinsel.
„Das ist immer
mein Lieblingsstück hier. Ich liebe die Museumsinsel. Hier kann ich
nie schlechte Laune haben…“
Er stand auf.
„Musst du nicht
bis zum Ostkreuz?“
„Steh auf.“
„Warum?“
Er antwortete nicht,
hielt ihr nur seine Hand hin. Das Mädchen nahm sie. Er half ihr
hoch. Sie stiegen aus, schlenderten auf die Spree zu. Der Mond
spiegelte sich im Wasser. Der Dom wurde angeleuchtet. Schweigend
gingen sie auf die Brücke zu. In der Mitte blieb das Mädchen
stehen. Sie lächelte. Er stellte sich neben sie.
„Besser?“
„Ja… Danke.
Oh man… Du hast so was von einen Gut bei mir.“
„Jeder übertreibt
es mal“
„Trotzdem
Danke“
„Kein Problem“
Gemeinsam sahen sie
auf das Wasser. Die Kälte kroch in ihre Knochen. Er schaute sie an.
So hatte er sie noch nie gesehen. So verwundbar und glücklich.
„Vielleicht
sollten wir langsam gehen… Ich muss morgen noch Uni Sachen
machen.“
Sie standen am
Bahnsteig. Er lachte.
„Was ist los?“
„Die nächste Bahn
kommt erst in 15 Minuten“
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